Kinder, Kinder... wo sind sie?
Beim Menschen ist alles komplizierter
doch aus ethischen Gründen Versuche nicht möglich
Zum Vortrag von Prof. Werner Kloas am 3. Juni 2016 in der Evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Marzahn/Nord aus Anlass der Feier von 20 Jahren „Projekt ZusammenLEBEN“, (zwölf Jahre nach seinem Vortrag, der die ProjektmitarbeiterInnen motivierte, Bischof W. Huber als Mitglied der Ethikkommission der Bundesregierung und Ratsvorsitzendem der EKD eine selbst erstellte Dokumentation zu diesem Thema zu übergeben)
Beim Menschen ist alles komplizierter. Und doch dienen Frösche schon lange als Modell für uns Menschen. So wurden Wasser- und Krallenfrösche bis Mitte des vorigen Jahrhunderts für Schwangerschaftstests benutzt.1 Das Hormonsystem der Frösche funktioniert wie beim Menschen. Deshalb dienen sie heute dazu, die hormonähnliche Wirkung von künstlich produzierten Stoffen nachzuweisen.
Im Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei ist es in einem Forschungsprojekt gelungen, eine das Hormonsystem schädigende Wirkung von Stoffen anhand der veränderten Balzrufe der Frösche nachzuweisen. Was heute in einer Woche möglich ist, dauerte bis dato Monate. Nun muss dieser neue Test nur noch international anerkannt werden, was in der Regel aber etliche Jahre dauert. Zudem hat die neue Methode den Vorteil, dass die Frösche nicht mehr sterben müssen, um ein Versuchsergebnis liefern zu können. Auch werden sie in reinem Wasser schon nach sechs Wochen wieder normal und weisen dann wieder das gleiche Balzverhalten wie vorher auf.
Weltweit ist ein Amphibiensterben zu beobachten. Dazu gehören neben Lurchen und Schleichen vor allem die Frösche. Ihre Haut ist für gefährliche Stoffe sehr durchlässig. Außerdem leben sie in zwei Ökosystemen, im Wasser und auf dem Land und benötigen also nicht nur ein, sondern zwei intakte Ökosysteme. Das aber ist immer weniger gegeben, so dass sie zu den Tierarten gehören, die am meisten vom Aussterben bedroht sind. Dies wird unter anderem durch hormonähnlich wirkende Stoffe, die endokrinen Disruptoren (EC) verursacht.
In einem europäischen Forschungsprojekt wurde im Berliner Institut das Wasser des Lambro, eines Nebenflusses des Po in Italien, untersucht. Bei Amphibien und Fischen gibt es ein Zeitfenster, in dem eine Umwandlung des Geschlechts erfolgen kann. Im Wasser des Lambro passierte dies auch bei erwachsenen Fröschen. In männlichen Fröschen bildeten sich im Hoden Eizellen und bei weiblichen Fröschen Spermien. Die sexuelle Differenzierung hatte sich ebenfalls verändert.
Doch nicht nur im Blick auf die Ursachen für eine sexuelle Orientierung können Frösche uns zum Nachdenken bringen. Sie können auch bei Schilddrüsenunterfunktion einen Kropf bekommen. Schilddrüsenerkrankungen haben in den Industrieländern in den letzten 15 Jahren um das zwei- bis drei-fache zugenommen. 30 % aller Menschen haben einmal im Leben entsprechende Probleme.
Nur 5% der Erkrankungen sind genetisch bedingt. Da das Schilddrüsenhormon im Körper für zwei Monate im Vorrat gespeichert wird, machen sich schädliche Einflüsse nicht sofort bemerkbar. Schilddrüsenüber- bzw. - unterfunktion lassen sich heute relativ gut behandeln. Viel aufwendiger und schwieriger ist es, die Wirkung von hormonähnlich wirkenden Stoffen auf die Qualität und Anzahl der Spermien bei Kinderwunsch zu behandeln. Doch da auch Stress ein Spermienkiller ist, sollte man es zuerst mit einer Auszeit versuchen. So half einem Mann ein verordneter zweimonatiger Urlaub. Seine Frau wurde schwanger. Doch nicht jedem hilft dies.
Nach einer Untersuchung des Universitätsklinik Hamburg an Rekruten sind bis zu 40 % der jungen Männer nicht bzw. kaum zeugungsfähig. Im US-Bundesstaat Missouri, der stark umweltbelastet ist, reiche nach Aussagen der Epidemiologin Swan ( US-Umweltbehörde EPA für einen Mann ein ca. 70-tägiger Aufenthalt dort, um unfruchtbar zu werden.
Weitere Folgen des Einsatzes künstlicher Hormone sind durch einen „Großversuch“ an Schwangeren in den USA bis in die 70er Jahre nun in der zweiten Generation sichtbar geworden. Schwangere wurden damals gegen Fehlgeburten mit dem Östrogen Diethylstilböstrol behandelt. Dies führte nun in der Generation der so geborenen Kinder bei Frauen vermehrt zu Vaginalkarzinomen, Zyklusschwierigkeiten und verändertem Sexualverhalten und bei Männern häufiger zu Hodenkrebs, Hodenhochstand und Unfruchtbarkeit.
Während die Männer in den nordischen Ländern bis vor einigen Jahren noch gute Spermienwerte aufzuweisen hatten, ist dies in Norwegen aufgrund der Ölindustrie vorbei, während sie in Finnland (noch -?) gut ist.
Nach dem Vortrag von Prof. Kloas 2004 achteten wir beim Einkauf auf Alternativen zu mit Endokrinen Disruptoren hergestellten Produkten. Statt eines neuen PC-Fußbodenbelags ließen wir Linoleum verlegen, ein reines Naturprodukt. Als die Stühle im Kirchraum neu bezogen werden sollten, fragten wir die Polsterer nach den darin enthaltenen Flammschutzmitteln. Nur einer wusste überhaupt von dem Problem und besorgte uns Stoff, der nicht gesundheitsschädlich ist. Doch oft sind Alternativprodukte teurer.
Auch auf Orangen steht nicht mehr „Bisphenol A“ (BPA) als Konservierungsmittel. Es ist zu spüren, dass man in der Industrie um die schädliche Wirkung besonders dieses weltweit allein 2006 in einer Menge von vier Millionen Tonnen hergestellten Stoffes2 weiß und nach Alternativen sucht. Doch reicht es nicht, einen gefährlichen Stoff einfach durch einen anderen zu ersetzen. Mehr als 20.000 Rezepturen, in denen er vorkommt, müssen neu zusammengestellt werden. Das könnte viele neue Arbeitsplätze für Chemiker bedeuten, wenn das Problem schnell angepackt würde. Doch schon jetzt gilt, dass schon aus Schutz vor künftigen Klagen neu entwickelte Stoffe auf ihre endokrine Wirkung getestet werden. Sollten sie den Verdacht bestätigen, kommen sie gar nicht erst auf den Markt.
Doch mit den Altlasten haben wir auch so genug zu tun. Denn sollen sie nicht weiter ihre schädliche Wirkung entfalten, müssen sie aus dem Naturkreislauf wieder herausgefiltert werden, z. B. durch eine gesetzlich verordnete vierte Filterstufe der Trinkwasserreinigung, wie sie in manchen andern Ländern schon üblich ist.
Dr. Katharina Dang
1https://de.wikipedia.org/wiki/Amphibien, unter „Sonstiges“ - Zugriff am 12.6.2016
Gedächtnisprotokoll des Vortrags von Prof. Werner Kloas von der Humboldt Universität, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, Forschungsverbund Berlin e. V. und dem anschließenden Gespräch am 22. Januar 2004 in der Evangelischen Kirchengemeinde Marzahn/Nord